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Eine Demonstration unter dem Motto „Der Pott ERWACHT“ anzumelden, folgt einer durchsichtigen Strategie.

Christph Hövel am März 06, 2022

Gleich vorneweg: Eine Demonstration unter dem Motto „Der Pott erwacht“ anzumelden, folgt einer durchsichtigen Strategie. Man spielt mit einer leicht veränderten Parole. Aus dem Befehl, der uns aus der Geschichte bekannt ist, wird eine Feststellung. Anstatt dass Deutschland erwachen solle, stellt man fest, der Pott sei erwacht. Wird auf diesen Zusammenhang hingewiesen – dessen kann man sich sicher sein – wird das Empörung hervorrufen und man wird sich wieder als Opfer eines unangebrachten NS-Vergleichs inszenieren. Das Perfide daran ist allerdings, dass die Anspielung auf den Nationalsozialismus eindeutig von dem Motto ausgeht, unter dem hier demonstriert wird. Man wird sagen, es gehe bloß darum, dass man sich nicht länger einlullen lasse. Wer aber eine politische Demonstration anmeldet, macht sich Gedanken darüber, welche Botschaft sie*er senden möchte. Es hätten zig andere Formulierungen genutzt werden können, die historisch nicht derart beladen sind. Man wählte aber genau diese. Entweder herrscht auf Seiten der „Erwachten“ also Naivität, oder die Anspielung war von vorne herein kalkuliert, ebenso wie die nachträgliche Empörung gegenüber allen Hinweisen auf den geschichtlichen Zusammenhang, in den sich solch ein Motto stellt. Ich jedenfalls halte die Anmelder*innen, die sich dieses Motto ausgedacht haben, nicht für naiv.

Wir demonstrieren heute gegen Menschen, die sich in der Opposition sehen, die sich teilweise als Querdenker*innen bezeichnen und von denen sich Teile derart als Opfer fühlen, dass sie sich mit Jüdinnen*Juden während der NS-Herrschaft vergleichen. Neben der notwendigen, entschiedenen Ächtung des Post-Shoah-Antisemitismus, bei dem sich die Nachfahr*innen der Täter*innen von einst mit ihren Opfern identifizieren und damit deren Leid in widerlichster Weise relativieren, neben dieser notwendigen Ächtung müssen wir uns in Bezug auf all diejenigen, die sich hier „nur“ in der Opposition wähnen, fragen, wie quer denken sie wirklich? Hat sich der Post-Shoah-Antisemitismus hier nur verirrt oder ist die Rebellion der Querdenker*innen eine konformistische Rebellion, eine Rebellion, die auf keine demokratischere und freiere Gesellschaft abzielt, sondern auf Autoritarismus und das Recht des*der Stärkeren?

Zentral für das quere Denken ist die Berufung auf abseitige Expert*innen. Die Abseitigkeit wird dabei als Nonkonformität ausgelegt und die besondere Meinung, die vom Mainstream abweicht als nicht zu korrumpierende Kritik. Oft wurde bereits darauf hingewiesen, dass hier zum einen Personen als Expert*innen ausgewiesen werden, die es auf dem fraglichen Gebiet der Virologie nicht sind oder, dass einer von der überwältigenden Mehrheit der Fachkolleg*innen kritisierten Position der Rang einer gleichberechtigten Alternative beigemessen wird. Das Problem, denke ich, rührt aber tiefer. Die Querdenker*innen können sich schließlich darauf berufen, dass historisch auch abwegig erscheinende Meinungen recht gegen die überwältigende Mehrheit der Expert*innen bewiesen haben. Weiterhin können sie sich darauf berufen, dass trotz aller Schwierigkeiten, wir alle uns in einer Demokratie ein Bild von den wesentlichen Fakten und Gegebenheiten machen müssen. Wir können die Einsicht in die relevanten Dinge nicht einfach ungeprüft Expert*innen überlassen. Zugleich sind aber durch die fortschreitende Ausdifferenzierung und Spezialisierung die Wissenschaften derart komplex geworden, dass es uns Laien unmöglich ist, einen fundierten Einblick in die Grundlagen der modernen Naturwissenschaften zu erlangen, deren technische Anwendungen unser aller Leben in weitreichendem Maß zu bestimmen scheinen. Auf entsprechendes in Bezug zur aktuellen Pandemie weißt die Rede von den vielen HobbyVirolog*innen hin. Wir müssen auch die naturwissenschaftlichen Fragen der Pandemie verstehen, sind dazu aber nicht vollumfänglich in der Lage.

Wir müssen uns nun fragen, ob wir es hier mit einer kritischen Minderheit zu tun haben, die sich dem Unwahren, der Unterdrückung und der Herrschaft entgegenstellt. Befinden sich also die Querdenker*innen auf der Seite einer sich irgendwann bahnbrechenden wissenschaftlichen Revolution?

Um es kurz zu machen: Dafür sehe ich keine Anhaltspunkte. Nimmt man zudem Abstand von der rein naturwissenschaftlichen Frage nach der Beschaffenheit des Virus – die zweifellos politische Konsequenzen hat – zeigt sich das vermeintlich quere Denken doch sehr verbandelt mit dem herrschenden Denken neoliberaler Herkunft und ist damit weit ab von der nötigen Selbstreflexion, die mit den wissenschaftlichen Revolutionen verbunden war oder sich mit ihnen verband. Zunächst möchte ich mich noch einmal kurz der naturwissenschaftlichen Seite zuwenden, um dann anschließend auszuführen, warum die Begrenzung auf diese Seite ein Problem der Kritik ist.

Auf der rein naturwissenschaftlichen Seite mag ein Blick auf aktuelle Beispiele genügen, um zu sehen, dass sich hier wohl keine wissenschaftliche Revolution anbahnt. Beispiele sind freilich keine Beweise; sie sind in diesem Fall aber emblematisch dafür, wie vom Mainstream abweichende Meinungen einfach auf Grund ihrer Abweichung und Konformität zu den eigenen Vorstellungen als triftige Kritiken gewertet werden, auch wenn sie inhaltlich dürftig bis unzulänglich sind. Groß diskutiert wird aktuell die Meldung der BKK ProVita, die sich auf die gemeldeten Impfnebenwirkungen bezieht und diese in Kontrast zu den weitaus geringeren Verdachtsfällen auf einen Impfschaden stellt. Daraus wird geschlossen, dass hier wohlmöglich die Gefährlichkeit der Impfung nicht korrekt eingeschätzt wird. Sofern nicht direkt auf eine großangelegte Verschwörung verwiesen wird, interpretiert man die Datenlage so, dass Hausärzte auf Grund ihrer Überlastung viele Verdachtsfälle nicht gemeldet hätten. Schaut man sich aber einmal die Bezeichnungen der in Frage stehenden Impfnebenwirkungen an, dann könnte man auch auf die Idee kommen, dass hierunter ganz normale und erwartbare Reaktionen auf die Impfung fallen, wie sie zu Hauf vorkommen (Fieber, Schwellung der Einstichstelle, Menschen, die sich am Tag nach der Impfung noch schlapp fühlen und sich deshalb krankschreiben lassen etc.). Argumentiert wird hier folglich mit der bloßabstrakten Möglichkeit, dass sich unter den von Ärzten abgerechneten Impfnebenwirkungen haufenweise schwerwiegende Impfschäden finden und kein Hausarzt dies je publik gemacht hat. Einmal ganz davon abgesehen, dass auch die Verdachtsfälle auf Impfschäden nur Verdachtsfälle sind, dass hier also erst noch ein ursächlicher Zusammenhang zur Impfung nachgewiesen werden muss.

Ein weiteres Beispiel ist, dass in Dänemark einer Studie zufolge sich prozentual mehr Geimpfte mit Omikron anstecken als Ungeimpfte. Auch hier werden unkritisch einfach die Daten als Beleg der eigenen Position genommen. Dabei wird zum einen nicht beachtet, dass wesentlich mehr geimpfte Personen von der Gefahr, die von Corona ausgeht, überzeugt sind und sich entsprechend häufiger testen lassen, zum anderen, dass nur geimpfte und genesene Menschen reisen oder an Veranstaltungen teilnehmen dürfen, was eine Ansteckung wahrscheinlicher macht. Weiterhin ist der Anteil der Geimpften in Dänemark viel höher (fast 80%) als derjenige, der Ungeimpften. Wenn man sich also, wie es ja auch nicht bestritten wird, trotz einer Impfung mit Omikron infizieren kann, dann verwundert es auch nicht, dass bei mehr geimpften Menschen in der Gesamtbevölkerung diese auch prozentual häufiger infiziert werden. Entscheidend ist dagegen, ob Menschen mit Impfung oder ohne Impfung eher einen schweren Verlauf haben und hier zeigt sich weiterhin, dass Impfungen einen guten Schutz vor schweren Verläufen bieten.

Ich halte es also bereits beim Blick auf solche Fehlinterpretationen für höchst unwahrscheinlich, dass wir es hier mit einer tatsächlichen Kritik der Wissenschaft in bester aufklärerischer Manier zu tun haben. Ich denke allerdings, dass es sinnvoll ist, die Fixierung auf die naturwissenschaftliche Seite selbst zu thematisieren und zu kritisieren. Allzu schnell ist man dabei, gesellschaftliches als Natur zu verklären und damit demokratische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse als technische Fragestellungen zu behandeln. Aus diesem Grund war es wichtig, dass Drosten darauf hingewiesen hat, dass er die Pandemie und ihre Folgen aus medizinischer Sicht betrachtet, damit aber Politik nicht ersetzt. Die Politik muss folglich auch bei wissenschaftlicher Beratung politische Entscheidungen auf der Basis der ihr zur Verfügung gestellten Daten treffen, anstatt die Entscheidung an die Wissenschaft auszulagern. 

Wir müssen folglich die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auch politisch betrachten und uns mit den Querdenker*innen politisch auseinandersetzen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung führen die jeweiligen Wissenschaftler*innen ohnehin viel sinnvoller, weil sie sich mit der Materie besser auskennen. Und soweit ich das einschätzen kann, führen sie sie größtenteils umsichtig und kritisch. Das mögen die Querdenker*innen anders sehen, aber wenn sie der Meinung sind, hier einer kritischen Wissenschaft beizuspringen, sind sie es, die nachweisen müssen, dass es sich hier tatsächlich um eine kritische Intervention gegen die Normalwissenschaft handelt. Eine Minderheitenmeinung ist noch keine Kritik. Diese fordert eine inhaltliche Auseinandersetzung und das bessere Argument. Bei den Querdenker*innen vermisse ich es, beides herauszuarbeiten. So ist ihr Angriff keine Kritik, sondern Ressentiment. Wenn es keine guten Argumente oder Anhaltspunkte gibt, dass hier ein wissenschaftlicher Konsens kritisch aufgebrochen wird, ist das Gegenteil der Fall: Das kritische Verfahren moderner Wissenschaft setzt sich gegen die bloße Meinung Einzelner durch. Und damit sind wir inmitten der politischen Fragestellung. Es geht den meisten Querdenker*innen nicht um Corona selbst oder die vorgebliche Gefährlichkeit der Impfung. Es geht darum einen Status quo zu verteidigen, der durch die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung bedroht wird. Die wissenschaftlichen Fragen werden daher auch bloßinstrumentell genutzt, um die eigene Position zu den Maßnahmen zu stützen. Anstatt also politisch für die eigenen Interessen einzutreten, wird auf eine eindeutige Faktenlage hingewiesen, die eine sofortige Beendigung der Maßnahmen einfordert. Der Rückzug auf angeblich eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse zur Ungefährlichkeit des Virus, entbindet zudem auch davon, die Forderung nach der Beendigung der Pandemiemaßnahmen mit der zynischen Hinnahme vieler Toter zu verbinden.

Schließlich müssen wir uns die Frage stellen, welches Weltbild hinter der angeblichen Kritik an den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie steht. Um nicht falsch verstanden zu werden: Tatsächliche inhaltliche Kritik an den Pandemiemaßnahmen ist wichtig und es gibt hier einiges zu kritisieren. Das Schlimme an Querdenken ist ja, dass es die Position der Opposition eingenommen hat und zwar mit einem in vielen Teilen verschwörungsideologischen Weltbild.

Geht man nämlich davon aus, dass ein Großteil der Wissenschaft falsch liegt und die Politik dieser völlig falschen Auffassung der Wissenschaft folgt, dann nimmt man entweder an, klüger und informierter zu sein als der Rest: eine bloße Behauptung für die es keine Hinweise gibt. Oder aber man nimmt an, hier würden die Massen absichtlich unmündig gehalten. Folglich muss man sie aus ihrem Schlummer wecken, in den sie versetzt wurden. Man nimmt also an, im geheimen operierende Mächte seien für die Maßnahmen verantwortlich und hätten das Virus als Grund bloß vorgeschoben.

Diese Annahme einer geheimen Verschwörung stellt sich alle Probleme der Welt als fremde Bedrohungen vor. Eine an sich gute Welt wird durch das Böse korrumpiert. Dabei können die angeblichen Verschwörer*innen jederzeit all ihre Pläne verwirklichen, Zufall und gegenläufige Interessen spielen dabei keine Rolle. Die Welt wird so betrachtet als gäbe es keine Gesellschaft, nur Individuen. Alles geschieht demnach nur, weil jemand es gewollt hat. Nicht gewollte Folgen von Handlungen, wie sie sich massenhaft in unserer Welt finden, werden ignoriert. Sicherlich trägt die aktuelle Berichterstattung dazu ihr übriges bei. Auch in vielen Medien wird Politik gerne durch die Handlungen von Einzelpersonen erklärt. Damit werden die tiefgreifenden, realen Probleme unserer Welt nicht angegangen. Stattdessen legitimiert das Verschwörungsdenken Gewalt. Es greift Einzelpersonen und Gruppen an, denen es die Schuld an der Misere gibt und verschlimmert damit das reale Elend. Das Verschwörungsdenken stellt sich letztlich auf die Seite des Autoritären, indem es das Bedürfnis zu Strafen bedient.

Alles in allem lässt sich festhalten, dass wir es hier nicht mit einer Kritik zu tun haben. Das ist vielmehr das Selbstmissverständnis der Querdenker*innen. Kritik ist nicht einfach das Abgleichen aller Tatsachen mit der eigenen Überzeugung und die anschließende Empörung, wenn beides nicht übereinstimmt. Kritik ist das Auffinden von Selbstwidersprüchen, auch in den eigenen Positionen. Sie ist damit das allerschwerste, denn sie erfordert ein feines Gespür für tatsächliche Implikationen bestimmter Behauptungen und die selbstkritische Einsicht, wann solche Implikationen nur eigene Projektionen sind, sich in der zu kritisierenden Aussage aber nicht vorfinden.

Dieses kritische Potential benötigen wir gerade mehr denn je, in einer Welt, die nach wie vor unsicher und ambivalent ist. Gerade Krieg ist dazu angetan, die zu betrachtenden Verhältnisse zu vereinfachen. Analysen werden als Rechtfertigung gesehen, obwohl Erklärungen wichtig sind. Zugleich werden aber auch Analysen als Rechtfertigungen genutzt und damit dem Zynismus des Tötens gehuldigt. Wir dürfen die nötigeOpposition zu Aufrüstung und Krieg nicht durch das Verschwörungsdenken übertönen lassen. Anstelle treffender Kritik findet sich sonst nur die Parteinahme für ein autokratisches Regime, das vielen auch deshalb allzu gut in den Kram passt, weil man dort Menschen und Einstellungen unterdrückt, die nicht in ein borniertesheteronormatives Weltbild passen.

Nach wie vor gilt Adornos Feststellung: „Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ Weil kein*e Einzelne*r die Welt hinreichend verstehen kann, brauchen wir kritische und sachhaltige Auseinandersetzungen. Das Verschwörungsdenken ist hieran nicht interessiert. Hier geht es bloß um Selbstbestätigung, nicht um die Erkenntnis unserer widersprüchlichen Welt.


Christoph Hövel

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